Der Fluss Magdalena – Kredit Ben Box
Magdalena, der 1.500 Kilometer lange Hauptfluss Kolumbiens, führt tagtäglich leblose Körper mit sich. Tag für Tag werden die Leichen von den Fischern aus dem Fluss gezogen und jedes mal werden sie von den Einwohnern des benachbarten Dorfes adoptiert, Leichen, die weit und breit niemanden haben, der ihnen ein Begräbnis bereitet. Diese Toten, die ohne nachweisbare Identität aufgefunden werden, werden „Ningún Nombre“ genannt, spanisch für „ohne Namen“. Die Adoptivfamilien nehmen ihre Verantwortung sehr ernst und kümmern sich um sie, indem sie ihnen Blumen bringen und Gebete für sie sprechen. Manche erlauben sich sogar, ihnen Namen zu geben und mit ihnen wie mit einem vertrauten Familienangehörigen zu diskutieren.
Die 50.000 Einwohner des kleinen Dorfes Puerto Berrio haben sich nach und nach alle mit dieser Idee vertraut gemacht, Leichen aus dem Fluss zu bergen. Heute haben alle Toten des Dorfes Adoptiveltern. Der Glaube ist für die Kolumbianer sehr bedeutend, sie streiten sich regelrecht darum, einen „Ningún Nombre“ aufzunehmen, um damit ihr gutes Benehmen unter Beweis stellen zu können. „El Pancho“ ist der Spitzname, der Don Fransisco Luis Mesa, Puerto Berrios außergewöhnlichem Fischer, zugeschrieben wurde. Dieser Mann hat bereits 25 Jahre seines Lebens damit verbracht, die Leichen ,nachdem er sie aus dem Fluss gefischt hat, in Särge zu legen und Ihnen eine Begräbniszeremonie zu bereiten.
Diese Situation, die auf den ersten Blick ziemlich makaber erscheint, ist eigentlich bemerkenswert und ungewöhnlich. Ungeachtet der hier vorgeführten, nicht unbedingt typischen Großherzigkeit, darf man aber die traurige Wahrheit nicht vergessen. Diese Toten sind allesamt Opfer des kolumbianischen Konflikts, der schon über 30 Jahre andauert.
Ein ununterbrochener, gewalttätiger Konflikt
Seit drei Jahrzehnten treten die kommunistischen Guerilleros den extrem-rechten paramilitärischen Truppen entgegen. Zwischen den beiden rivalisierenden Gruppen dieses Konflikts, befinden sich die Einwohner benachbarter Bevölkerungsgruppen, die überfallen und misshandelt werden. Die Meisten von ihnen sind gezwungen zu fliehen und alles hinter sich zurückzulassen. Diejenigen, die weniger Glück haben, verlieren dabei ihr Leben und ihre Leichen werden in den Fluss geworfen. Es bleibt jedoch illusorisch zu behaupten, dass alle Fluss-Leichen als Opfer des kolumbianischen Konflikts identifiziert geworden sind. Aus diesem Grund ist die große Mehrheit nicht in das Vermisstenverzeichniss aufgenommen worden.
Kredit Mandy Cano Villalobos
Wertvolle Zusammenarbeit mit der Regierung
In den letzten Jahren kommen immer mehr trauernde Familien ans Licht, die versuchen, die Leichen ihrer Verstorbenen zu finden. Auf Grund der dringenden Nachfragen, haben die Regierung und der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos weitere Mittel zur Verfügung gestellt. Der Staatschef hat in der Tat die Suchdienste verstärkt, wodurch fast 10.000 Leichen identifiziert werden konnten. Eine wachsende Anzahl an Offizieren und Gerichtsmedizinern sind jeden Tag im Einsatz, um die Familien der Toten zu benachrichtigen und gleichzeitig auch die Todesursache festzustellen.
Für die Leute, die sich im Exil befinden, versucht die Regierung so gut sie kann Entschädigungen als Ausgleich für die vielen Hektar Land, die den Opfern entrissen worden sind, zu bewilligen. Eines ist sicher, die Regierung setzt alles daran, dem Konflikt in Kolumbien ein Ende zu bereiten. Er lässt zwar Jahr für Jahr nach, ist aber dennoch präsent.
Unterstützung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz
Auch Chaín, der Totengräber des Dorfes Bocas de Satinga, sammelt, genau wie „El Pancho“ aus Puerto Berrio, die Leichen auf, die der Fluss mit sich trägt. Aber Chaíns Aktionen haben eine Besonderheit: Er bestattet alle nicht dentifizierten Leichen in einer ganz bestimmten Ecke des Friedhofs seines Dorfes. Er achtet sehr sorgfältig auf die Stelle wo die Gräber der „Nigún Nombre“ plaziert sind. Auf jedem Grab wird eine Zement-Plakette angebracht, die alle Informationen enthält, um den trauernden Familienangehörigen die Suche zu erleichtern. Diese schlaue Idee hat sich eigentlich das regionale Komitee vom Roten Kreuz einfallen lassen, das sich darauf verlassen kann, dass Chaín die Plaketten anbringt.
Ungeachtet dieser ersten Maßnahme, erwartet das IKRK (Internationale Komitee vom Roten Kreuz) jedoch nicht, dass damit schon Schluss ist. Das derzeitiges Ziel ist es, die Gerichtsmediziner dazu zu bringen, die Leichen zu exhumieren und zu identifizieren. Das IKRK arbeitet ebenfalls an der Renovierung der Leichenhalle von Bocas de Satinga, nämlich am Bau von Kühlräumen für die „Ningún Nombre“. Mit Hilfe digitaler Fingerabdruck-Analyse, durch die die Leichen identifiziert werden könnten, soll die Suche in Zukunft auch vereinfacht werden.