Fotokredit: Nicolas Malinowski
Die Khmer Rouge, ein kommunistisches, maoistisch-leninistisch angehauchtes Regime, haben Kambodscha Ende der 1970er Jahre, unter der Führung von Pol Pot, besetzt. Darauf bedacht, das Land mit Hilfe des Reisanbaus wirtschaftlich attraktiv zu machen, haben die Fehlentwicklungen dieser Ideologie 1,7 Millionen Menschen - durch Zwangsarbeit und willkürliche Meuchelmorde - den Tod gekostet.
Ungeachtet der sprudelnden Märkte, den Wohlgerüchen aus den Küchen, die auf die Straßen hinausströmen und dem Lachen der jungen Kambodschaner, das an den Kreuzungen zu vernehmen ist, ist überall in Phnom Penh Unmut spürbar. Als einstige Schaubühne des Aufstiegs unter der Herrschaft der Roten Khmer, versucht die Stadt nach 40 Jahren immer noch, die Spuren der Brutalität des Kampuchea-Regimes zu verbergen.
Fotokredit: Nicolas Malinowski
Im Herzen der Stadt befindet sich ein Gebäude, das wie ein Gymnasium ausschaut. Diese ehemalige Schul- und Ausbildungsstätte nimmt keine Schülerinnen in weißen Blusen mehr auf, denn 1975 wurde sie von der Revolte-Armee der Kampuchea in ein Gefängnis umgewandelt, wo der Boden heute noch Spuren von Blut trägt. 17 Kilometer südlich von Phnom Penh erhebt sich das Vernichtungslager von Choeung Ek. Fern ab vom Getöse, das vom Geknatter der Mopeds herrührt, ist die Stille dort sehr wirkungsvoll. Dort sind 17.000 Menschen durch die Taten der Folterknechte ums Leben gekommen.
Das Murmeln der dunklen Vergangenheit erschallt noch immer in den Straßen der Hauptstadt. Die Erinnerungen scheinen in die Zukunft mit einzufließen, ohne zu lange in der Vergangenheit zu verweilen.
Neben den Toten, die die Kambodschaner zu beklagen hatten, sind die kulturellen Konsequenzen, die durch die Herrschaft der Roten Khmer entstanden sind, bedauernswert. Die Auslöschung der Intellektuellen - Hauptgefahr des totalitären Regimes - passt nicht zu ihrer Sicht der Dinge, auch wenn dies das Leitmotiv der Anhänger war. Nachdem sie die Wurzeln der Kultur in ihrem eigenem Land herausgerissen hatten, haben die Roten Khmer die Hoffnung auf eine neue gesellschaftliche Zukunftsvorstellung vernichtet, indem sie ihre Anschauungen mit Zwang durchsetzten. Sie haben die Freigeister blutig unterdrückt, die es riskierten anders zu denken.
Nach dem Umsturz der Kampuchea im Jahre 1979 war die Anzahl der Gebildeten beachtlich dezimiert. Unterrichtsinhalte bezüglich des Völkermords konnten vor 2010 nicht auf den Schulbänken verbreitet werden. Die Frage, wie und in welche Richtung es für ein Volk weitergehen sollte, wenn seine Ursprünge weiterhin unverstanden bleiben, ist prisant.
Die vielversprechende Wirtschaft geht im Ausland auf Tournee
Fotokredit: Nicolas Malinowski
Kambodscha hat nicht lange gebraucht, um den positiven Einfluss seiner attraktiven Außenpolitik messen zu können. Ein Arbeitsvisa zu erlangen ist z.B. eine reine Formsache geworden. Die Regierung Kambodschas fördert den Austausch und empfängt ausländische Kapitalanleger mit offenen Armen. Diese permissive Politik hat Früchte getragen: Nach den 1990er Jahren hat das Land ein stetiges Wirtschaftswachstum im zweistelligen Bereich verzeichnet. Es blieb jedoch nicht dabei und im Jahre 2007 lebten immer noch mindestens 31% der kambodschanischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, so eine Studie der UNO. Aus Unmut einer Arbeitslosensteuer gegenüber, die so lächerlich niedrig war, dass sie keine 3,5% ausmachte, bleibt die Armut der Arbeiter und die ungleiche Verteilung der Reichtümer zu beklagen.
Die Gesellschaft Kambodschas leidet immer noch unter großen Ungleichheiten. Die Roten Khmer haben zahlreiche Weisen und traumatisierte Einwohner hinter sich zurückgelassen, die man heute wieder eingliedern muss. Die größte Inkongruenz besteht jedoch in der Kluft, die die Städter von den Bewohnern der ländlichen Gebiete trennt, wo der Großteil der Kambodschaner lebt. Nun, da die Armut in Phnom Penh auf 60% geschrumpft ist, so ist sie am Land noch nicht einmal bei 22% gewesen. Die Regierung hat gleichzeitig mit der Enteignung beachtlicher landwirtschaftlicher Gebiete begonnen, zum Vorteil der Privatunternehmer, was eine hohe Anzahl an Bauern ohne Land zurücklässt. In einem Land, das zu 85% aus ländlichen Gebieten besteht, hat die große Mehrheit der Kambodschaner Mühe, sich Gehör zu verschaffen, betrachtet man dies vor dem Hintergrund, dass die Interessen der Bessergestellten mit denen der Regierenden verwechselt werden.
Die Hartnäckigkeit und Langlebigkeit dieser Ungleichheiten bildet eine akute Bedrohung für die erst kürzlich erreichte Stabilität der kambodschanischen Gesellschaft. Das Gleichgewicht des Regimes muss mittels Förderung der Menschenrechte erhalten werden. Und Kambodscha ist heute Zeuge dieses Prozesses: Es erfreut sich freier Wahlen, 1989 wurde die Todesstrafe abgeschafft und Verleumdungen werden nicht mehr als Delikt angesehen. Aber die Möglichkeit, sich individuell zu verbessern, bleibt durch die Missachtung der Identität der Kambodschaner und ihrer Ursprünge erschwert. Heute ist es das wichtigste Streben der neuen Generation: ihre eigenen Gärungsstoffe zu zerstreuen. Der Kampf gegen die Amnestie der Geschichte erlaubt es, die kambodschanische Jugend zu sensibilisierten und ihnen alle Karten in die Hand zu drücken, damit sie schließlich den Mut aufbringen, ihre Gefühle auszudrücken.
Aufarbeiten der Erinnerungen
Eine Aufarbeitung der Erinnerungen ist also für die nationale Aussöhnung unabdingbar. Die NGOs treten für die Unzulänglichkeiten der rechtlichen Vereinigungen ein, die seit dem Verschwinden der Intellektuellen im Laufe der 1970er Jahre schuldig geblieben sind. In 10 Jahren wurden in Kambodscha 2.099 NGOs gegründet, so eine in 2011 von der Cooperation Committee of Cambodia durchgeführte Zählung. Mit Hilfe von Ausstellungen und Debatten, unterstützen sie die Lehre der Vergangenheit. Nachdem einige Gesetzestexte an Transparenz und Übersichtlichkeit leiden, schicken sich NGOs wie Destination Justice dazu an, mehr Wert darauf zu legen, dass die Rechte, mit den Augen der Kambodschaner betrachtet, besser verstanden werden. Die Schaffung des Rechtsstaats muss gemeinsam und mit Einsicht der Einwohnern bezüglich ihre Vorrechte geschehen.
Der Wald von Bokor im Südwesten Kambodschas beherbergt einige seltene Tiger und Leoparden. Dieser Hinweis von den Wildhütern hat eine generelle Angst ausgelöst, sich in unmittelbarer Nähe mit einer solchen Raubkatze zu befinden. Ein Aneinandergeraten ereignet sich jedoch in Wirklichkeit bestenfalls in den großflächigen Abholzungsgebiete, die die Hotelkomplexe umgeben. Kein wildes Tier am Horizont, aber Betonblöcke, die sich hier und da im Laub erstrecken.
Die Regierung verhängt keine Obergrenzen für Investitionen, seien sie touristischer oder industrieller Art, aus dem In- oder Ausland. Diese Gefälligkeit wirkt sich vor allem nachteilig auf das kulturelle, biologische und ökologische Erbe aus. Das Nichtvorhandensein von architektonischer Homogenität kommt bei näherer Betrachtung in einem Bruch mit den Überlegungen der Politik der Verstädterung zum Ausdruck. Hierin liegt das Paradox der kambodschanischen Gesellschaft: Wie soll man sein kulturelles Erbe bewahren, ohne sich dieses Reichtums bewusst zu sein? Schon wieder machen sich die Qualen des Regimes der Roten Khmer bemerkbar. Durch das Ausreißen des Khmer-Volkes und seiner Kultur hat die Kampuchea die Kambodschaner dazu gebracht, sich auf ihre Zukunft zu konzentrieren ... worunter nun das Verstehen ihrer Wurzeln leidet.