Foto: Yannick Fornacciari
Femen – jene Gruppe, die sich als sextremistisch bezeichnet– will patriarchalische Symbole zunichte machen. Sie will den Frauenkörper nicht mehr als sexuelles Objekt, sondern als Kampfsymbol gelten lassen. Die in der Ukraine gegründete, feministische Bewegung verteidigt die Frauenrechte, die Demokratie und bekämpft Prostitution, illegalen Handel mit menschlichen Organen, Korruption und monotheistische Religionen. Laut Neda Topalski habe sich die Gruppe Femen zum Ziel gesetzt, das Patriarchat abzuschaffen, indem sie die Signifikanz dessen Vorstellungen – wie z.B. die des Frauenkörpers – ändern. Es handle sich um eine politische Bewegung, geführt von Frauen, die spezifisch trainiert sind, um uns aufgezwungene Regeln zu vereiteln. Der Körper der Frauen wird selbst zum Kampfmittel der Femen: an nackten Busen werden Slogans gemalt.
2013 trat die kanadische Femen-Gruppe zum ersten Mal in die Öffentlichkeit auf, als Aktivistinnen mit dem skandierten Ruf „Crucifix, decâlisse“ das Parlament in Quebec betraten. Bei dieser Protestaktion wollten sie somit das Anbringen religiöser Zeichen in politischen Einrichtungen anprangern. Diese Bewegung mag in Kanada noch jung sein, aber zahlreiche feministische Demonstrationen werden jährlich in den Straßen abgehalten, um die Provinz- und Bundespolitik anzufechten. Seit 2011 wird ein so genannter Slutwalk – engl. für Schlampenmarsch – organisiert, um gegen die Banalisierung der Ausrede zu protestieren, nach der die Kleidungswahl einer Frau der einzige Grund für deren Vergewaltigung sei. Darüber hinaus wurden während der Studentendemos vom Ahorn-Frühling 2012 und 2015 Abend-Demos organisiert, an denen nur Frauen teilnehmen durften.
Dennoch spielt sich der Kampf nicht nur auf der Straße ab. Der Kampf besteht auch darin, dass sich die Frauen ihren Körper durch sich selbst wieder aneignen. „Der Diskurs über Frauen ist auf ein patriarchalisches System zurückzuführen. Dieser Diskurs wird aus dem männlichen Blickwinkel geführt. Wir fungieren ständig als Objekte des Blickes, des Diskurses, des Begehrens. Wir Femen werden zum Subjekt unseres Diskurses. Unser Körper ist unsere Idee. Mein Körper ist ein Subjekt und kein Objekt mehr. Dieses Subjekt zu werden ist, was ich mir für alle Frauen wünsche. Für Frauen, die von sich selbst zu sprechen beginnen, anstatt die Tatsache zu verinnerlichen, sich von anderen anschauen zu lassen“, so Neda Topaloski.
Foto: Yannick Fornacciari
Somit ist es eine sinnvolle Arbeit zu leisten, den Frauen Selbstwertschätzung anzuerziehen und das von den Medien und der Werbung vermittelte Schuldgefühl zu bekämpfen. Mit barbusigen Aktionen wollen sich Femen-Aktivistinnen ihren Körper und ihre Identität wieder aneignen, um ihn in ein politisches Instrument zu wandeln. „Von Kindesbeinen an lösen sich die Frauen von ihrem Körper. Sich ihres Körpers zu schämen wird ihnen beigebracht. Seitdem ich der Femen-Gruppe angehöre, schäme ich mich meines Körpers nicht mehr. Ich bin wie jene Männer, die es nie brauchten, sich von ihrem Körper zu lösen. Das ist ganz normal! Mein Körper, das bin ich, das ist meine Identität“, vetraut uns Neda Topaloski an. Der Kampf der kanadischen Femen-Gruppe richtet sich auf drei Schwerpunkte aus: das Recht auf Abtreibung, die Stellung der Religion in der Gesellschaft und im politischen Leben, den Frauenhandel.
Die Abtreibung im Visier von der Regierung
Am 28. November 2014 wurde dem Gesundheitsminister Gaétan Barrette ein Gesetzesentwurf vorgelegt. Dieser heisst wie folgt: „Gesetz, das den Zugriff zu den Diensten von Familienmedizin und spezieller Medizin unterstützt und unterschiedliche Rechtsvorschriften auf dem Gebiet unterstützter Fortpflanzung ändert.“ Der Text sieht vor, der Abtreibung ihren Status als Priority Medical Activity (PMA) abzuerkennen. Das Praktizieren von PMA ist nur in Höhe von 12 Stunden pro Woche erlaubt. Da die Abtreibung aus den prioritären ärztlichen Praktiken ausgeschlossen werden soll, sind die Ärzte nicht mehr dazu verpflichtet. Durch das Gesetz wird der Zugriff zur Abtreibung eingeschränkt. Der Entwurf des Gesetzes Nr. 20 sieht außerdem vor, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nach medizinischer Indikation zu senken. All das könnte nicht nur wenige Abtreibungsmöglichkeiten für die Frauen bedeuten, sondern auch die Schließung von Frauenzentren und -kliniken mit sich bringen.
In Quebec werden jährlich 24.000 Abtreibungen durchgeführt. Weitere Gesundheitsdienstleistungen, die in Kliniken für Geburtenplanung angeboten werden, stehen im Visier vom Gesundheitsminister. Den Versorgungsstellen für Geschlechtskrankheiten oder Verhütung wird keine Anerkennung vom Entwurf des Gesetzes Nr. 20 verleiht. Die Befruchtungsprogramme sollen zukünftig eingeschränkt werden. Frauen unter 18 und über 42 wird die In-vitro-Fertilisation untersagt.
Die Einführung von Abtreibungsquoten sorgte für heftige Aufregung bei den feministischen Bewegeung, sei es Femen oder „Le Centre des femmes“. Am 30. April dieses Jahres unterbrach Neda Topaloski eine Pressekonferenz von Hélène David, der Ministerin von Quebec, und rief dabei „Nein zum Gesetz Nr. 20“ sowie „Meine Gebärmutter, meine Priorität“. Diese Femen-Aktion will auf ein gegen das Frauenrecht auf Abtreibung verstoßende Gesetz verweisen. Auch wenn der Gesundheitsminister Gaétan Barrette und der Premier Philippe Couillard in den größten Medien mitgeteilt haben, dass sie den freien und kostenlosen Zugriff zum Schwangerschaftsabbruch nicht einschränken, wollen, steht fest, dass es künftig keine Quoten mehr geben wird. Der Gesamtlohn der Ärzte, die die festgelegte Quote von 1.008 Schwangerschaftsabbrüchen überschreiten wollen, wird um 30% gesenkt werden.
„Der Marsch für das Leben“
Jedes Jahr organisieren der kanadische Klerus und die Kampagne „Quebec-Vie“ eine große Anti-Abtreibung-Demonstration – besser bekannt als „Marsch für das Leben“ – auf dem Parlaments-hügel von Ottawa. Diese Kampagne setzt sich zum Ziel, in die Regierungsgesetze einzugreifen, um ihre eigene Werte und Moral durchzusetzen. Auf seiner Webseite teilt das Kollektiv mit, es befürworte „die Bildung der Regierung und der Bürger im Bereich der Abtreibung, der embryonalen Stammzellenforschung, des assistierten Suizids, der Sterbehilfe und anderer Bedrohungen für die Menschenrechte und der Menschenwürde“. Sie befürworte ebenso „die Aufforderung an die Regierung, damit sie Gesetze erlässt, die mit [ihrem] Ziel, die KanadierInnen jeden Alters und jeder Fähigkeit zu schützen, zusammenhängen“.
Es muss daran erinnert werden, dass Regionalabgeordnete sich jedes Jahr Geistlichen anschliessen um die Demonstranten der „Marche pour la vie“ zu unterstützen. Femen kämpft um das Recht auf Abtreibung – in einigen Ländern wie Irland, Belgien (außer im Notfall) und Chili wird dieses Recht den Frauen immer noch vorenthalten. Ferner ist dieses Recht in der Türkei eingeschränkt, und von jetzt an auch in Quebec. Solche Einschränkungen liegen an der beschränkten Zahl der pro Arzt genehmigten Eingriffe oder an der Zahl der Kliniken und Krankenhäuser, die diese ärztlichen Eingriffe anbieten können. Am 14. Mai 2015 ist es mehreren Femen-Aktivistinnen gelungen, den „Marsch für das Leben“ zu stören. Unter anderem wurde durch diese Aktion auf geheime Absprachen zwischen Religion und Regierung hingewiesen.
Neda Topaloskis Ansicht nach „liege es auf der Hand, dass die Mitglieder des kanadischen Parlaments und die Senatoren, die gegen Abtreibung sind, mit den christlichen Lobbies in Verbindung seien. Die Lobbies drängten diese Politiker darauf, Gesetze zu ihren Gunsten zu gestalten. Ehrlich gesagt, in welchem demokratischen Land der Welt sei es vorstellbar, dass der Klerus sich im Parlament mit Senatoren und anderen Mitgliedern versammelt? Im Plenarsaal sitzen protokollgemäß nur Männer im traditionellen Kostüm […], unter ihnen befindet sich gar keine Frau. Doch besprechen sie Fragen, die mit dem Leben einer Frau zusammenhängen. Es sieht mies aus.“
Foto: Yannick Fornacciari
In Kanada spielt die Religion eine bedeutende Rolle. Sie unterstützt zahlreiche Lobbygruppen. Es sei daran erinnert, dass die christliche Lobby „Famille Action Coalition“ zwischen 2008 und 2010 Minister und Abgeordnete der Harper-Regierung sechs Mal getroffen hat. Übrigens war Stephen Harper einer der Abgeordneten, die 2007 dem Gesetzesentwurf zur Umdeutung eines Angriffs oder Mordes an einer Schwangeren als Doppelangriff oder Doppelmord zustimmten. 2012 legte der konservative Abgeordnete Stephen Woodworth auch dem Parlament von Quebec einen Zusatz vor, der die Gründung eines parlamentarischen Ausschußes empfiehlt, der an der gesetzlichen Definition eines Menschen arbeiten soll.
Der große Preis von Montreal wird beschuldigt, zum Sextourismus beizutragen
In Kanada gibt es viele feministische Bewegungen, die die Prostitution und den Frauenhandel bekämpfen. So zählte die Stadt Montreal 2013 mehr als 420 Geschäfte, die mit der Sexindustrie assoziiert waren. Die unzähligen Nachtklubs mit Tänzerinnen, Massagesalons und Escort-girls tragen dazu bei, aus der Metropole ein sehr beliebtes Reiseziel für Touristen zu machen. Nach Schätzungen der Kanadischen Königlichen Polizei seien in Kanada rund 1.500 Personen Opfer von Menschenhandel.
Die Sterberate der in der Prostitution arbeitenden Frauen liegt 40 mal über dem nationalen Durchschnitt. Bei diesen Frauen ist das Mordrisiko 20 mal höher. Die kanadische Femen-Gruppe ist der Meinung, dass diese hohe Konzentration an Sexgeschäften für unsere westlichen Gesellschaften symptomatisch sei.
„Der Körper der Frauen fungiert ständig und überall als Treibstoff der Konsumgesellschaft. Was Nordamerika eigen ist, ist eine allgemeine Scheinakzeptanz, als wäre das ganz normal. Bei Gewalttaten wie der weiblichen Beschneidung oder dem Kopftuchzwang sind die Leute viel mehr dazu geneigt, die Gewalt und die Ungerechtigkeit wahrzunehmen, denn man kann sie auf Grund ihres hohen Grades an Materialität und Performativität nicht übersehen. Diese Konsumgesellschaft ist nichts anderes als psychologische Manipulation, und Minderung der Selbstwertschätzung der Frauen. Dies zeigt, dass die Frauen – gemäß dem kulturellen Umfeld – nur sexuelle Objekte oder Dinge sind, die zum Kauf reizen. Dies bringt viele Konsequenzen mit sich: an erster Stelle sind Krankheiten wie Ess- und Geistesstörungen, Mobbying an Schule usw. Hier herrscht ein unaufhaltbarer Hang zu einer Kultur, die von außerordentlicher Gewalt geprägt ist”, so Neda Topaloski.
Das Autorennen zum Großen Preis von Montreal trägt zur Verschärfung all dieser Forderungen der sextremistischen Bewegung bei. Während dieser drei Tage ist der Zustrom der Sexarbeiterinnen dermaßen groß, dass ein Tourist für eine Tänzerin zwischen 1.000$ und 2.000$ bezahlt, die ihm die so genannte Girlfriend Experience anbietet. Die Femen-Aktionen beim Autorennen zum Großen Preis von Montreal konzentrieren sich besonders auf „die Sexindustrie in Montreal, den Sextourismus und den Großen Preis an sich, der die Frauen als Kellnerinnen oder als Prostituierte der Öffentlichkeit darbietet.“ Folglich zeigten sich die Femen-Aktivistinnen letztes Jahr barbusig, um den Großen Preis zu beschuldigen, zum Frauenhandel und zur Hypersexualisierung ihres Körpers beizutragen.